Bekennender Heiner 2016

Charly Landzettel

Iwwer klaa Paris un Bessunge nooch Griesem

Mit 14 aus der Schule ins wahre Leben: Schriftsetzer, Drucker oder Buchbinder waren in Darmstadt, der „Stadt der rauchlosen Industrie“, die angesagten Berufe in meiner Jugendzeit Ende der 50er Jahre. Es sei denn, man hatte betuchte Eltern und konnte die „Mittelschule“ oder gar das Gymnasium besuchen. Bei mir gereichte es zur Schriftsetzerlehre beim „Ernste Willem“ in der Herbert’schen Buchdruckerei, Wilhelm-Leuschner-Straße, und da schon war Lokales, sprich „Heinerstädtisches“, angesagt. Mein Chef rekrutierte alle seine Kunden in Darmstadt, war Mitglied im Elferrat der Narrhalla sowie in verschie­denen Vereinen tätig und so kam es, dass ich schon als „Stift“ – zwar in Bessungen zu Hause – herumkam in der Stadt der Heiner, die bis heute nicht wissen, warum man sie so nennt. Und sie werden es vermutlich auch nie erfahren, wenn nicht unserem lieben Dr. Engels im Stadtarchiv durch Zufall eine etymologische Erklärung dafür in die Finger fällt.

Aber sei’s drum. Die meisten Darmstädter – so zeigen zumindest meine Erfahrungen, die ich im Laufe meines sukzessiven angehäuften Alters gesammelt habe – fühlen sich eh nur temporär als Heiner. Es gibt da die sogenannten „5-Tage-Heiner“ (in der Zeit während des Heinerfests von Donnerstag bis Montag) oder die „90-Minuten-Heiner“ (die Zeit, während die Lilien erfolgreich Fußball spielen und man freudig das Lied „Wir sind Heiner, uns schlägt keiner“ trällert). Die überwiegende Zeit des Jahres jedoch fühlt und lebt der Darmstädter stadtteilbezogen. Er ist Mucker, Siedler, Lapping, Watz oder Gaasehenker, Johannesviertler oder Waldkolonist oder, oder. Das ist zwar nichts Schlimmes, sondern im Gegenteil schön, wenn man in den Stadtteilen zusammenhält – für die Außenwirkung unserer Stadt ist das jedoch negativ. Aber man nannte ja ohnehin nur die anno dunnemals existierenden Alt­städter Heiner, und da es die wunderschöne Altstadt nicht mehr gibt, hat wohl auch das Synonym der Darmstädter, der „Heiner“, vermeintlich ausgedient. Aber ich sehe Licht am Horizont! Denn so, wie Wolfgang Koehler von der Darmstädter Brauerei jahrelang einen „Lokalpatrioten“ (einen verdienten Bürger) auserkor und wie man sich seit dem Niebergalljahr bemühte, den heimischen Dialekt zu erhalten beziehungsweise wiederzubeleben, so ist man im „Heimatverein Darmstädter Heiner“ mit Little Klein an der Spitze und durch Liane Paleschs Idee, in jedem Jahr einen „Bekennenden Heiner“ zu küren, auf dem besten Weg, wieder mehr städtischen Zusammenhalt zu generieren.

Dass ich nun diese Auszeichnung erhalten soll, ehrt mich sehr, und sie ruft Erinnerungen in mir wach, die Bezug auf Darmstadt nehmen, denn ich bin keineswegs ein „echter Bessunger Bub“, obwohl das immer wieder gerne kolportiert und ebenso gerne auch von mir gehört wird. Das Licht der Welt erblickte ich in Bad Homburg, die ersten Schritte vollführte ich in den Trümmern von Heddernheim (klaa Paris in Frankfurt), eingeschult wurde ich in der hiesigen Heimstättensiedlung und nach dem Umzug nach Bessungen immer wieder zum Nachsitzen aufgefordert in der Wilhelm-Leuschner-Schule. In Lappingshausen übernahmen die Altvorderen der Turngemeinde Bessungen meine Erziehung, machten mich zum erfolgreichen Handballer, Vereinsmeier, Kerbevadder und Büttenredner. Sie machten mir auf nette Weise klar, dass ich nach ihrem Ausscheiden diverse Ämter zu übernehmen hätte und vor allem dafür Sorge tragen müsse, die schöne Ludwigshöhe zu erhalten.
Diese Anhöhe ist mir besonders ans Herz gewachsen. Als Bub nutzte ich diverse Abfahrten mit dem Schlitten (auf richtigem Schnee!), in der Schulzeit erwanderte ich mit meinem Lehrer die Ludwigshöhe aus allen Himmelsrichtungen und der erste „echte“ Kuss wurde mir auch dort oben verabreicht. Und mittlerweile habe ich es mit meinen vielen fleißigen Mitstreitern ge­schafft, den Bessunger Hausberg zu einem attraktiven Ausflugsziel zu gestalten – und wir wollen auch noch nicht aufhören damit. Und dass ich, wie eingangs erwähnt, großen Bezug zu Darmstadt habe, zeigt die Tatsache, dass ich sechs OBs persönlich kennen- und schätzen lernte, dass ich über 20 Jahre für die Watzeviertel-Karnevalisten in die Bütt stieg, dass meine Firma Layout Service Darmstadt heißt und dass ich einen Onkel in Eberstadt und eine Tante in der Kahlertstraße hatte. Und mein heuer güldenes Hochzeitsjahr verbringe ich, wie schon die 49 Jahre zuvor, in Griesheim, wo meine geduldige Familie, meine Frau, zwei Töchter und ebenso viele Enkel des Öf­teren auf mich warten mussten, weil ich mich eben zu Darmstadt bekenne.

Vielen Dank für die Auszeichnung!

Ihr Charly Landzettel